Jump to content
Melde dich an, um diesem Inhalt zu folgen  
schaefca

Autostandort Deutschland: Abschied von der Mittelklasse

Empfohlene Beiträge

Tach!

 

 

Gefunden beim STERN:

 

Autostandort Deutschland

Abschied von der Mittelklasse

Von Rolf-Herbert Peters

 

Das neue BMW-Werk in Leipzig ist das letzte seiner Art: Der Autostandort Deutschland geht auf Schrumpfkurs. Künftig werden immer weniger Menschen hierzulande Autos bauen - vorzugs weise nur noch die teuren Modelle.

 

Satt wie ein Siebener liegt das mächtige BMW-Werk in ostdeutschem Gelände. Die Spätschicht rollt an. Menschen steigen aus Fiestas, Astras und Kias. Einen neuen 3er-BMW, wie sie ihn gleich bauen, kann sich kaum jemand leisten. Wir sind im Billiglohnland Sachsen. Unternehmer mussten hier laut Statistischem Bundesamt 2004 für eine Industriearbeitsstunde im Durchschnitt 21,14 Euro aufbringen. Das sind gut acht Euro weniger als in Bayern.

 

Aus einem Toyota Yaris schallen MDR-Nachrichten herüber. Der Sprecher berichtet über die Rückkehr zur 33-Stunden-Woche bei Volkswagen. Der Fahrer knipst desinteressiert das Radio aus. Wolfsburg ist weit weg. Er arbeitet 38 Stunden und verdient 20 Prozent weniger als seine BMW-Kollegen im Westen.

 

Das Leipziger Werk zählt zu den schlanksten Europas. Es spuckt jeden Tag 600 Fahrzeuge aus. Im März 2005 startete die Produktion. Damit kann sich Leipzig als die jüngste Neueröffnung einer Großserienautofabrik auf deutschem Boden feiern lassen. Und wohl auch als die letzte.

Denn nach über 100 Jahren hat der Autostandort Deutschland die Aufbaujahre hinter sich. Noch stellt Deutschlands Vorzeigebranche jeden siebten Arbeitsplatz. Doch die Jobmaschine stottert, alle Zeichen stehen auf Abbau: Mehr Autos mit weniger Leuten produzieren! Raus aus Deutschland, rein in die neuen Märkte! Mehr Roboter ans Band und runter mit den Löhnen! Tempo, Tempo: Der erste 3er, weitgehend in Handarbeit gefertigt, hatte 1976 sechs Monate Lieferfrist. Den 3er aus Leipzig können die Kunden dank Computer und Robotik bis zu sechs Tage vor Produktionsbeginn komplett neu ausstatten lassen und ihn drei Wochen später in Empfang nehmen.

 

Auch andere Hersteller geben Gas. Der Fiesta wird in Köln in gut 14 Stunden zusammengebaut - Weltrekord. Selbst im behäbigen Wolfsburg, wo Deutschlands unproduktivste Autofabrik steht, konnte das Management die Produktionszeit des Golfs inzwischen von 50 auf 37 Stunden drücken. Doch irgendwann ist jeder Standort ausgelaugt. "Autos von der Größe des Golfs an abwärts lassen sich in zehn bis zwanzig Jahren hierzulande nicht mehr rentabel produzieren", sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Professor an der Fachhochschule Gelsenkirchen. Selbst die BMW-Fabrik am Billiglohnstandort Sachsen stünde wohl längst irgendwo in Osteuropa, hätten die Steuerzahler nicht 360 Millionen Euro Subventionen zugeschossen.

Die Prognosen des Autoprofessors treffen Arbeiter an Traditionsstandorten wie Wolfsburg, Rüsselsheim oder Köln ins Mark. Während Dudenhöffer den Edelkarossen eine Zukunft zugesteht, heißt es Abschied nehmen von Golf und Polo, Astra und Corsa, Focus und Fiesta "Made in Germany". Offen wollte kein deutscher Auto-Vorstand den Trend bestätigen. Nur bei Opel spekulieren die Chefs nebulös über Werksschließungen, falls der neue Astra in vier Jahren nicht mehr in Deutschland gebaut werde. Doch hinter vorgehaltener Hand ist man sich einig: Die Klein- und Mittelklasse aus Deutschland ist ein Auslaufmodell.

 

Die Folgen für den Arbeitsmarkt sind dramatisch: Bis 2020 werden die Hersteller laut Dudenhöffer rund ein Viertel der deutschen Stellen abbauen, die Zulieferer noch einmal fünf Prozent. Unterm Strich gehen so 135 000 der 765 000 Stellen in der Automobilindustrie verloren. Helmut Becker, Leiter des Münchner Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK), ist noch pessimistischer: "Es müssen hierzulande noch im erheblichen Umfang personelle Überkapazitäten - manche sagen bis zu 300 000 Stellen - gestrichen werden, damit der Standort auf Dauer wettbewerbsfähig bleibt."

Peter Claussen, der das Leipziger Werk leitet, sieht bereits eine Parallele: "Die Gefahr ist sehr real, dass in unserer Branche eine Entwicklung wie in der Unterhaltungselektronik einsetzt." Im ehemals führenden Fernsehland mit großen Namen wie Grundig, Saba und Telefunken stellen heute nur noch Loewe und Metz TV-Geräte her - die Mercedes' und BMWs der Branche.

 

Mit zu hohen Arbeitskosten und dem verlockend preiswerten nahen Osten allein kann man den Kehraus nicht begründen. Sicher, ein Wagen der Golf-Klasse lässt sich in Polen oder Tschechien rund 20 Prozent billiger produzieren als hier, wie Professor Willi Diez vom Geislinger Institut für Automobilwirtschaft für den stern ermittelt hat. Doch 15 Prozentpunkte davon ließen sich durch straffere Produktionsprozesse ausgleichen.

Aber das würde Golf und Co. nicht im Lande halten. "Wolfsburg oder Posen?", lautet nicht mehr die Kernfrage. Die Musik spielt künftig anderswo auf der Welt: 72 Millionen Fahrzeuge sollen im Jahr 2020 verkauft werden, 20 Prozent mehr als heute. Die größten Wachstumsmärkte sind Russland, China und Indien, wo sich der Autoabsatz bald verdoppelt. In Europa, den USA und Japan legt er nur noch um acht Prozent zu. Die neuen Märkte gieren nach Fahrzeugen zu Dumpingpreisen. Und genau mit solchen Autos tritt nun China an, die Welt zu erobern. Die Produkte aus dem Land des Lächelns dürften in rund fünf Jahren wettbewerbsfähig sein. In diesem Jahr, so Studien, werden die Chinesen 5,9 Millionen Autos bauen - und Deutschland (5,38 Millionen) damit erstmals von Platz drei der Standort-Hitparade verdrängen.

 

Wer künftig mitspielen will im Konzert der Marktmächte, muss eine Mordsflexibilität und eine Turboproduktion bei minimalen Kosten liefern und bloß keine Überkapazität aufbauen. Toyota, das Maß aller Dinge, nennt es "Muda", Verschwendung, wenn Bänder langsamer laufen, weil Aufträge fehlen. Opel wird aus diesem Grund bald den eher teuren Konzernbruder Saab 9.3 in Rüsselsheim bauen. Und Daimler-Chrysler hat die B-Klasse nicht zuletzt deshalb erfunden, um die Produktionsdellen der kleineren A-Klasse auszugleichen.

Nach den Erfahrungen von IWK-Forscher Becker kriecht Muda noch immer wie eine Seuche durch deutsche Fabrikhallen: "Weit über die Hälfte sind nach wie vor Problemfälle in der Prozessoptimierung und der schlanken Produktion." Er hat die Zukunftsfähigkeit von zwölf großen Autokonzernen untersucht. Fazit: Außer BMW kann derzeit kein deutscher Hersteller die durch schlanke Produktionsverfahren gestählte asiatische Phalanx - Toyota, Honda, Nissan - durchbrechen. Schlimm steht es für VW: Mit 275 000 Euro Umsatz pro Mitarbeiter sind die Niedersachsen nur halb so produktiv wie Toyota, die 515 000 Euro erzielen.

 

Zurück nach Leipzig, in das Werk, das ohne Steuergelder nie gebaut worden wäre. Gerade hat die Spätschicht begonnen. 500 Schweißroboter daddeln Bleche in höchster Präzision zu einem Skelett für die 3er-Limousine zusammen. Die Maschinen erledigen 97 Prozent der Arbeit im Karosseriewerk. Sie sind die billigsten Werktätigen. Der Anschaffungspreis für ein mittelgroßes Gerät, das gleich mehrere Menschen ersetzt, liegt unter dem Jahresgehalt eines Facharbeiters. In der Montagehalle surrt das Band zwischen 60 und 140 Stunden pro Woche, je nach Auftragslage. Die 2300 BMW-Mitarbeiter sind fast so flexibel wie die Roboter. Durch ausgeklügelte Arbeitszeitmodelle kann Werksleiter Claussen die Kapazität um bis zu 40 Prozent steigern, ohne einen Cent mehr Lohn zahlen zu müssen. Die Tarifpartner haben mitgespielt, auch weil der öffentliche Druck groß war: 160 000 Bewerbungen sind seit Planungsbeginn bei BMW eingegangen.

"Wir haben die Chancen der grünen Wiese umfassend genutzt", sagt Claussen. Viel mehr als in Leipzig lässt sich aus dem Standort Deutschland kaum herausholen. Gebaut wird nur, was bestellt ist. Auf Halde zu produzieren, das war gestern. Es gibt lediglich vier Grundkarosserien, aber Milliarden Ausstattungsvarianten. Einen wachsenden Teil des Fertigungsrisikos tragen die Zulieferer: Sie bauen zum Beispiel komplette Armaturenbretter und karren sie sekundengenau ans Band.

 

Und dennoch müssen die Deutschen noch ein paar Schippen drauflegen, um den Autobauern aus Fernost die Stirn zu bieten. Es gilt, den Abstand bei Technik und Image zu wahren. Bei der Klein- und Mittelklasse ist das Rennen nicht mehr zu gewinnen. In den höheren Klassen müssen raffinierte Modelle in ausgezeichneter Qualität und Auswahl her - und ein blendendes Markenimage. Nur wer gute Argumente hat, kann höhere Standortkosten durch bessere Preise wieder hereinholen - einer der Gründe, warum es sich heute gerade noch lohnt, den mindestens 26 000 Euro teuren 3er in Deutschland zu produzieren, den 16 000 Euro teuren Golf aber eigentlich nicht.

Die Premiumanbieter haben das Spiel begriffen - und drehen auf. Vor zehn Jahren hatte Audi noch zehn Modelle im Programm, heute sind es 22, im Jahr 2015 sollen es 40 Varianten sein. "Wir sind getrieben, unsere Innovationszyklen zu verkürzen", sagt Produktionsvorstand Jochem Heizmann. "Es ist nicht immer einfach, Arbeitnehmervertretern klarzumachen, dass wir die Produktivität weiter steigern müssen, um die Zukunft zu sichern, gerade, wenn wir gut verdienen."

 

Gleichzeitig soll der Jahresausstoß von Audi-Fahrzeugen von 800 000 auf 1,4 Millionen Einheiten wachsen. Ob die Fabriken in Neckarsulm und Ingolstadt davon profitieren, ist fraglich. Neue Produktionsstätten in Deutschland wird es jedenfalls nicht geben, solange im VW-Konzern noch irgendwo Kapazität frei ist. Audi muss ohnehin - wie fast alle deutschen Anbieter - dringend das Engagement im Ausland verstärken, um Wachstumsmärkte zu erschließen. In den USA betreibt Audi überhaupt keine Fabrik. Neben der Gefahr, gute Geschäfte zu verpassen, droht in Nordamerika dabei ein zweites Risiko: die Währungsfalle.

Die Schwestermarke VW hat vergangenes Jahr zu spüren bekommen, was ein starker Euro gegen einen schwachen Dollar anrichten kann: Jedes in Deutschland gebaute und in die USA exportierte Auto brachte Verlust. Am Ende verbuchten die Wolfsburger in Übersee fast eine Milliarde Dollar Miese. Toyota hat die Chancen des Weltmarktes schon lange erkannt und ist beherzt hinausgezogen: Nächstes Jahr wird die Marke erstmals mehr Fahrzeuge im Ausland produzieren als in Japan.

 

Ein weiterer Köder lockt die Konzerne in die Ferne: der bevorstehende Boom mit Discount-Pkws. Autos zwischen fünf- und zehntausend Euro, die schon bald 20 Prozent am Weltmarkt ausmachen, ließen sich in Deutschland nicht mal bei Lohnverzicht fertigen. Anders in Rumänien, das über fähige Fachkräfte verfügt und 2007 EU-Mitglied werden soll: Arbeiter sind hier so billig, dass Renault sein 7000-Euro-Gefährt Dacia Logan wie zur Branchensteinzeit überwiegend von Hand bauen lässt. Auch Ford und General Motors, zu dem Opel gehört, planen, dort Billigautos zu fertigen.

Hoffnung liegt allein in Größe: Im MAN-Montagewerk München stehen Muhammet Ayar, 29, und Dariusz Soppa, 31, vor einem gewaltigen Lkw und montieren Kabel. Beide profitieren von den schieren Ausmaßen des Produkts: 145 schwere Lkw laufen hier pro Tag vom Band, und ihre Zahl wird weiter steigen. Lastwagen lassen sich nicht preiswert im Ausland bauen und in die Absatzmärkte überführen. Der Transport von Indien nach Deutschland kostet pro Einheit rund 3000 Euro - Kosten, die sich selbst mit Billig-Personal nicht rausholen lassen.

 

Deshalb muss MAN Bayern auf indisch trimmen - mit Leiharbeitern, die fast beliebig eingesetzt und entlassen werden können. Die Folge: Ayar geht mit 1800 Euro netto nach Hause, Soppa nur mit 1300 Euro. Der Erste ist fest angestellt, der Zweite geliehen. "Dass wir das Gleiche tun und unterschiedlich verdienen, ist inzwischen ganz normal", sagt Ayar. Soppa ist seit vier Monaten hier, vorher arbeitete er für BMW. Hofft er, von MAN übernommen zu werden? "Keine Chance", sagt er. Auch das ist Branchentrend: Immer mehr Mitarbeiter werden künftig nicht auf der Lohnliste der Autobauer, sondern der Zeitarbeitsfirmen stehen.

"Leiharbeit ist für uns eine Erfolgskomponente", sagt Personalchef Dietmar Klein. "Das Geld, das wir sparen, ist nicht entscheidend." 18 Prozent der Kollegen am Band kommen von Zeitarbeitsfirmen. Wenn die Auftragslage schwankt, dreht Klein an dieser Stellschraube. "Auch wenn wir gute Auszubildende übernehmen möchten, tun wir das und verzichten dafür auf entsprechend viele Leiharbeiter." Gerade wird das Werk auf Effizienz getrimmt, soll in drei Jahren mit zehn Prozent weniger Personal auskommen. Dann muss Klein noch mal kräftig an der Schraube drehen.

 

Radikal weniger Jobs und Angestellte, kaum mehr Volumenmodelle - und doch gibt es eine positive Nachricht für den Standort Deutschland: Auch 2020 werden nach Expertenschätzung noch fast 5,5 Millionen Autos von deutschen Bändern rollen - gut 100 000 mehr als heute. Die steigende Produktivität macht's möglich.

 

 

 

Hoffentlich finden sich dafür dann auch genügend potente Käufer... :roll:

-----------------

I love you all!

 

25iq.jpg :-D

 


I love you all!

 

smartsigvk6.jpgicon_biggrin.gif

 

Für GV ohne Horst S.!*

 

*GV = Grevenbroich • Horst S. = Horst Schlimm, Schlamm, Schlämmer

Diesen Beitrag teilen


Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

Der Beitrag ist treffend und leider erschütternd real. Wir können uns bald die Autos die wir in Deutschland bauen nicht mehr selbst leisten, weil wir zu teuer und zu unproduktiv sind. Das Europäische Ausland wir teilweise subventioniert und der Deutsche Werker schaut in die Röhre.

 

Aber so ist diese Zeit und die Geiz ist Geil und ich Kauf mir jetzt nen schön billigen Kia mit allem drin.

 

Ich fahre weiter meine beiden Pseudodeutschen Alltags Autos einen Smart aus Frankreich und einen VW Fox aus Brasilien. Solange eine Deutsche Firma mir mein Gehalt monatlich überweist lasse ich auch gern ein paar Euros mehr in Deutschland, meine Rente wird mir schliesslich auch nicht aus Korea überwiesen, wenn ich überhaupt noch eine bekomme........... :-?


"....und solange man in chinesischen Flüssen seine Fotos entwickeln kann , ist es nicht sehr sinnvoll , den autobedingten CO 2 Ausstoss mit unfassbarem Aufwand um 0,02 % zu senken. Ich glaube, wir Deutschen haben da dringendere Probleme zu lösen..."

 

( Zitat Bodo Buschmann, Geschäftsführer Brabus GmbH )

 

 

Diesen Beitrag teilen


Link zum Beitrag
Auf anderen Seiten teilen

Erstelle ein Benutzerkonto oder melde dich an, um zu kommentieren

Du musst ein Benutzerkonto haben, um einen Kommentar verfassen zu können

Benutzerkonto erstellen

Neues Benutzerkonto für unsere Community erstellen. Es ist einfach!

Neues Benutzerkonto erstellen

Anmelden

Du hast bereits ein Benutzerkonto? Melde dich hier an.

Jetzt anmelden
Melde dich an, um diesem Inhalt zu folgen  

×
×
  • Neu erstellen...

Wichtige Information

Wir haben Cookies auf Ihrem Gerät platziert, um die Bedinung dieser Website zu verbessern. Sie können Ihre Cookie-Einstellungen anpassen, andernfalls gehen wir davon aus, dass Sie damit einverstanden sind.