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Urbane Ikone Smart: Das Auto fürs gute Gewissen

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Tach!

 

Gefunden in der ZEIT:

 

Das Auto fürs gute Gewissen

 

Als Ökoauto war der Smart seiner Zeit voraus. Noch immer macht er den Verzicht zu einem Prestige-Gewinn. Die Geschichte einer urbanen Ikone.

 

Von Andreas Molitor

 

Die Aufforderung des Chefs ist freundschaftlich, aber unmissverständlich: »Jetzt baust wieder richtige Autos«, heißt es. Was etwa so viel bedeutet wie: »So einen Unfug will ich nicht noch mal sehen!« Fiebernd vor Ungeduld, hat Johann Tomforde, ein junger Ingenieur in Diensten von Mercedes-Benz, seine Vision präsentiert. Ein paar Zeichnungen nur, mehr hat er noch nicht, doch sie allein sind im Jahr 1972 schon eine Provokation. Ein Auto hat Tomforde da offenbar skizziert, aber was für eines: Geradezu lächerlich klein ist dieses eiförmige Etwas, mit zwei Sitzen nur, sodass es quer in eine Parklücke passt. Ein Elektro- oder Hybridmotörchen werkelt im Heck, die Federung ist mittig eingebaut, sodass der Winzling sich wie ein Motorrad in die Kurven neigt.

 

Irritiert stehen die Mercedes-Manager vor den Zeichnungen. Das soll allen Ernstes ein Fahrzeugkonzept für das Jahr 2000 sein? Die Antwort auf den drohenden Verkehrsinfarkt in den Ballungsräumen? Eine Möglichkeit, den Straßenraum der Städte besser, intelligenter zu nutzen als bisher? Kleine Autos signalisieren sozialen Rückschritt, das ist Common Sense. In der Vorstellungswelt der Stuttgarter Autoschmiede ist für so ein Verzichtsmobil kein Platz. Wo die Reise hingehen soll, hat Mercedes gerade eindrucksvoll demonstriert: Die neue S-Klasse ist auf den Markt gekommen, groß, schwer, chromstrotzend und gebaut ohne Rücksicht auf Verbrauchswerte. Ein »richtiges Auto«. Tomforde sieht, wie der soziale Abstandhalter aus Sindelfingen mit Vollgas und bis zu 289 PS in die Zeit der autofreien Sonntage und des teuren Benzins prescht. Die Skizzen seines Cityhoppers legt er beiseite. Aber er wirft sie nicht weg.

 

35 Jahre später. Johann Tomfordes Vision ist längst Auto geworden, 1998 zur Serienreife gebracht und seitdem durchgefüttert mit dem Geld jenes Konzerns, der die revolutionäre Idee einst so brüsk beiseitefegte. Und sie hat einen Namen, den fast jeder kennt: Smart. Ein Auto, das gerade wegen seiner provozierenden Winzigkeit stärker polarisiert als die PS-gemästeten automobilen Alphatiere der S-Klasse oder die klobigen Offroader mit ihren Nashorn-Abprallgittern.

 

Noch vier Wochen, dann werden die ersten Exemplare der zweiten Smart-Generation auf den Straßen Europas zu sehen sein. Zwischen Tomfordes ersten Entwürfen und dem Verkaufsstart des neuen Smart liegen dreieinhalb Jahrzehnte voller Versuche und Irrtümer, eine in der Geschichte des Automobilbaus wohl einmalige Abfolge finanzieller und technologischer Rückschläge, ungezählte vollmundige Versprechungen und ebenso viele enttäuschte Hoffnungen. Am Beispiel des Smart lässt sich zeigen, wie man eine intelligente und zukunftweisende Idee fast zugrunde richten kann.

 

»Mit einem Smart demonstriere ich intellektuellen Status«

 

Der Schlingerkurs des mehrfach ausgewechselten Managements brachte DaimlerChrysler bis heute Verluste von vermutlich dreieinhalb Milliarden Euro ein. Das kleine Auto wurde zum Albtraum der Aktionäre. Grabreden wurden geschrieben und gehalten, eine ganze Modellfamilie schnell kreiert und noch schneller wieder eingestampft. Übrig blieb nur der ursprüngliche Zweisitzer, und selbst der stand mehrfach vor dem Aus. An die Stelle langfristiger Strategien traten immer wieder hektische Versuche, das Smart-Programm vor der sofortigen Einstellung zu retten. »Kein anderes Autoprojekt hat eine so lange und traumatische Schwangerschaft durchlitten«, schreibt Tony Lewin in seinem Buch Smart Thinking.

 

Die Suche nach einem Zeitgeist-Vorbild für den Smart führt weit zurück, viel weiter noch als bis zu den legendären Skizzen von Johann Tomforde. Im Jahr 1959 kommt ein Auto auf den Markt, das schon einmal allein durch die Provokation seiner Kleinheit und des Weglassens zum Kultobjekt städtischen Lebens avanciert und seinen Besitzer mit einem sozialen Status der besonderen Art ausstattet. Die Rede ist vom Mini, der automobilen Ikone der Swinging Sixties.

 

Als trendiges Lifestyle-Accessoire ist der Mini eine kleine soziale Revolution. Mit ihm wird Verzicht auf Größe ein Wert an sich. Wer ihn fährt, demonstriert intellektuellen und geschmacklichen Führungsanspruch gegenüber den Jedermännern, die am Lenkrad eines Ford Anglia oder Morris Minor sich und ihre Umwelt langweilen. Der Kauf eines Mini ist keine Notlösung, weil man sich kein größeres Auto leisten kann. Im Gegenteil: Seine Kompaktheit signalisiert Avantgarde.

 

Als die Produktion der ersten Mini-Generation 2000 (nach 41 Jahren!) ausläuft, sieht man in deutschen Zeitschriftenanzeigen das Fahrzeug am Haken eines Abschleppwagens hängen, während ein Smart munter davontöffelt. Daneben steht »Goodbye, Mini«. Die neue Ikone automobiler Kleinheit verabschiedet sich respektvoll von ihrem Wegbereiter.

 

Autos sind seit jeher Gradmesser und Symbole des sozialen Status. Die S-Klasse von Mercedes beispielsweise, satt, wuchtig und dominant, erscheint genau passend für jene, die zeigen wollen, welchen Platz sie für sich auf der Straße und in der Gesellschaft beanspruchen. Mini und Smart dagegen fahren ihren Distinktionsgewinn nicht über 930 Newtonmeter Drehmoment und 517 PS ein, sondern über die Provokation, auf all dies verzichten zu können. »Mit einem Smart will ich nicht zeigen, wie viel Geld ich habe, sondern wie intelligent ich mit meinen Ressourcen umgehe«, sagt Thilo Schotte von der Agentur BBDO, die für die aktuelle Smart-Kampagne verantwortlich ist. »Mit einem Smart demonstriere ich intellektuellen Status.«

 

Die Klassenlosigkeit des Smart war anfangs ein Problem für BBDO. Die Werbestrategen waren verwirrt, weil sie das Fahrzeug und die Zielgruppe »nicht richtig greifen konnten«. Ein Smart steht am Straßenrand vor der Uni-Mensa genauso selbstverständlich wie auf einem Geschäftsführer-Parkplatz. Man kann damit zur Oper fahren – aber genauso gut zum Konzert der Toten Hosen. Eines der für den Smart komponierten BBDO-Nutzenversprechen lautet dann auch folgerichtig: »A declaration of independence.«

 

Das Selbstgefühl intellektueller Überlegenheit wird offenbar nicht einmal dadurch angekratzt, dass Auto-Bild den alten Smart noch im vergangenen Jahr in einem Zehner-Vergleichstest zum schlechtesten Auto unter 10.000 Euro kürte. Mit dem Smart exponiere man sich auf der Straße mit einem »Automobil kleiner Größe«, sagt Klaus-Peter Schulz, Chef von BBDO Deutschland, »allerdings wesentlich dezenter und intelligenter als beispielsweise mit einen 911er Porsche«.

 

Ein 3er BMW fällt nicht auf, auch Premium-Limousinen wie die S-Klasse oder der 7er BMW verschwimmen bald nach Markteinführung im Grau und Schwarz der Oberklasse-Karossen. Ein Smart dagegen fällt auch im Jahr neun nach seiner Premiere stets auf, ganz einfach, weil hinten mindestens ein Meter fehlt. Das ist sein bis heute unangetastetes Alleinstellungsmerkmal. Es gibt keine Flotte ähnlicher Fahrzeuge, unter denen man auswählen könnte. Man kann das Marktsegment nicht mal »Smart-Klasse« nennen, analog zur Golf-Klasse, weil es keine Klassenkameraden gibt, bislang jedenfalls nicht. Gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt General Motors jetzt ein noch radikaleres Fahrzeug, einen Elektro-Zweisitzer aus Kohlefaser, der auf die Größe eines Einkaufswagens zusammenklappbar sein soll. Erste Prototypen soll es nächstes Jahr geben.

 

Auto, Marke und Klasse verschmelzen zu einem Namen, der ähnlich polarisiert wie das Produkt, für das er einst erdacht wurde. Smart, das ist einerseits ein Kunstwort, zusammengefügt aus den Anfangsbuchstaben der beiden Gründungsunternehmen Swatch und Mercedes sowie dem Wort art, also Kunst. Aber natürlich ist smart auch ein englisches Wort – mit mancherlei Bedeutung: clever, gewitzt, durchtrieben, scharf, beißend, schneidend. Nett klingt das nicht unbedingt, eher schon nach herausgestreckter Zunge. Und smart ass heißt Klugscheißer.

 

Genau das denken Autofahrer wohl manchmal, wenn sie weiter im Parksuchverkehr um den Block kreisen oder ins Parkhaus fahren müssen, während der Smart-Besitzer längst eine Lücke zum Querparken gefunden hat. In dem Moment wird die Kleinheit des Smart fast zu einem Ausweis von Snobismus, auf jeden Fall zu einem Objekt des Neids. Je mehr Geld der »gegnerische« Autofahrer in seine Karosse gesteckt hat, desto größer sein Gefühl von Hilf- und Machtlosigkeit beim Erblicken des quer parkenden Winzlings. Der Neid auf den Smart korreliert direkt mit der Zahl der Auspuffrohre.

 

Nicolas Hayek weiß nicht, dass sein Anruf bei Werner Niefer an jenem Tag kurz vor Weihnachten 1992 mit dem Stempel »legendär« in die Automobilgeschichte eingehen wird. Der Wortlaut des Telefonats zwischen dem Schweizer Uhrenmogul und dem Mercedes-Vorstandschef ist nirgends dokumentiert. »Ferdinand Piëch von Volkswagen begreift nicht, was ich will«, sagt der Uhrenmogul wohl sinngemäß, »außerdem kann der mich nicht leiden. Mercedes braucht doch auch so was.«

 

Der Mercedes-Vorstandschef weiß natürlich sofort, was Hayek mit »so was« meint. Der Retter der Schweizer Uhrenindustrie und Erfinder der Pop-Uhr Swatch hat schon 1989 verkündet, dass er einen »Mikrokompaktwagen« entwickelt, ein zweisitziges buntes Kunststoffauto für die Stadt mit genug Platz für zwei Leute und zwei Kästen Bier – ein »Swatch-Auto« halt. Modisch und billig wie eine Swatch-Uhr und umweltfreundlich dazu, gemäß seiner Maxime »Höchste Qualität, tiefster Preis, Provokation und Spaß am Leben«.

 

Zunächst arbeitet Hayek gemeinsam mit Volkswagen am Swatch-Mobil. Doch die Liaison mit den Wolfsburgern dauert nur gut ein Jahr – bis eben der technikversessene Ferdinand Piëch dort das Kommando übernimmt. Mit Hayeks Ökopopmobil kann er nichts anfangen. »Ich konnte ihm nur sagen, dass ich keine Uhr bauen will und von ihm kein Auto brauche«, schreibt Piëch in seiner Autobiografie. Als eine seiner ersten Amtshandlungen kündigt er die Kooperation auf. »Für mich war’s ein Elefantenrollschuh«, urteilt Piëch. »Ich empfinde den Smart heute noch als Prothese.«

 

Massigkeit und Opulenz der S-Klasse sorgen für öffentliche Entrüstung

 

Als sich der Rausschmiss anbahnt, versucht Hayek sein Glück nun ausgerechnet bei Mercedes-Benz, jener Autoschmiede, der Kleinwagenkompetenz wirklich nicht nachgesagt werden kann. Doch auch in Stuttgart ist die Zeit reif für neue Ideen. Die Marketingstrategen des Konzerns haben die hohe Sensibilität insbesondere der deutschen Kundschaft für Umweltthemen aufmerksam registriert. Außerdem hat man bei der Vorstellung der neuen, völlig aus den Fugen geratenen S-Klasse im Jahr zuvor ein Debakel erlebt. Auf die nach der deutschen Einheit allseits verordnete Bescheidenheit und Enthaltsamkeit antwortet Mercedes-Benz mit einem Auto, das noch die Fettlebe der späten Achtziger mit sich herumschleppt. Seine Massigkeit und Opulenz sorgen für öffentliche Entrüstung.

 

Bei einem der ersten Gipfeltreffen erzählt Hayek viel Visionäres und nichts Konkretes – bis ein nicht mehr ganz so junger Mercedes-Ingenieur, Johann Tomforde heißt er, zu Hayek sagt: »Und jetzt präsentieren wir mal, was wir dazu denken.« Dann zeigt er ein Video, gedreht am Sunset Boulevard in Los Angeles im Sommer zuvor. Zwei sehr kleine grüne Autos sind zu sehen. Autos mit zwei Sitzen. Autos, wie Hayek sie bauen will. Und sie fahren!

 

All die Jahre hat Tomforde immer wieder, teils ohne Wissen seiner Vorgesetzten, zwischen der Arbeit an SL-Roadster oder E-Klasse an seiner Vision eines zweisitzigen Autos für den urbanen Verkehr gewerkelt. Anfang der neunziger Jahre ergibt eine Studie, dass im Schnitt nur 1,2 Personen in einem Auto fahren – und zwar weniger als durchschnittlich 30 Kilometer pro Tag. Das beschleunigt Tomfordes Arbeit am Micro-Benz. Erst- oder Drittauto, das ist ihm nicht so wichtig. Er glaubt den Wunsch vieler Mercedes-Kunden zu spüren, »neben ihrer S-Klasse auch ein Auto für die Stadt zu haben«. Warum kümmern wir uns nicht darum, fragt er sich, warum überlassen wir das Geschäft den anderen?

 

Zwei Prototypen namens Eco-Sprinter und Eco-Speedster dürfen nach Tomfordes Entwürfen gebaut werden. Der Mercedes-Vorstand bekommt sie im Sommer 1992 auf dem Sunset Boulevard zu Gesicht. Und die Manager sehen, wie begeistert die Amerikaner vor diesen kleinen grünen Autos stehen.

 

Hayek sieht den Film und ist elektrisiert. »Der hat gesagt, das gibt’s doch nicht, wir müssen unbedingt zusammenarbeiten«, erinnert sich Tomforde. Im April 1994 gründen Mercedes-Benz und Hayeks Uhren-Holding SMH die Micro Compact Car AG, den Brutkasten für den Smart. Johann Tomforde wird einer von drei Direktoren.

 

Smart-Erfinder Hayek wollte die Feinde Auto und Umwelt versöhnen

 

Bald schon wird spürbar, dass es eine komplizierte Partnerschaft ist zwischen dem erzkonservativen Konzern und dem hemdsärmeligen Unternehmer. Kühn behauptet Hayek, dass er in Europa quasi aus dem Stand drei Millionen Swatch-Mobile verkaufen könne. Belege liefert er nicht. Die Mercedes-Vertriebsleute jaulen kurz auf. Hayek ist auch überzeugt, dass man das Auto im Prinzip ähnlich simpel aus fertigen Modulteilen zusammenkloppen kann wie seine Plastikuhr. Eine Swatch auf vier Rädern, wo ist das Problem? Jetzt winseln auch die Mercedes-Ingenieure. Aber sie haben nichts zu sagen. Die Kleinstwagen-Firma verbittet sich ungebetenen Rat.

 

Mit seinem Swatch-Mobil, das zwischendurch in Smart umgetauft wird, will Hayek die natürlichen Feinde Auto und Umwelt versöhnen. Er besteht darauf, dass auf jeden Fall ein umweltfreundlicher Hybridantrieb ins Programm kommt. Mit dem Smart soll man auch dann noch in die Innenstädte fahren dürfen, wenn Benzinverbrenner ausgesperrt werden.

 

Die Smart-Macher schmieden unterdessen die Kampagne für ein Fahrzeug zurecht, das eigentlich gar kein richtiges Auto ist, sondern Teil eines noch näher zu definierenden Mobilitätskonzeptes, »das aus einer Vielzahl von zusätzlichen Erzeugnissen und Dienstleistungen besteht, die den städtischen Individualverkehr effizienter, menschlicher und vernünftiger gestalten«. Besser kann es der damalige Smart-Marketingchef Jürgen Schär nicht erklären.

 

Immerhin erfährt man, dass intelligente Übergänge zu Flugzeug und Bahn vorgesehen sind; Miet-Smarts etwa, die gleich am Bahnsteig oder am Flughafenterminal warten, ohne Extrakosten, weil die Leihgebühr schon im Ticketpreis enthalten ist. Auch sollen Smart-Kunden die Vorzüge eines Leasing-Pool-Pakets genießen dürfen, aus dem man sich mit einem Cabrio für die Wochenend-Spritztour oder einem Kleintransporter für den Umzug bedienen kann, natürlich günstiger als bei Avis oder Sixt. Man vergisst nur, die Trendsetter der städtischen Ökoavantgarde zu fragen, ob sie so etwas tatsächlich wollen.

 

In der Autobranche sind die meisten froh, dass Hayek bei Mercedes und nicht bei ihnen angeklopft hat. »Mit dem Smart werdet ihr maximal das verdienen, was das Schiebedach der S-Klasse erwirtschaftet«, prophezeit Wolfgang Reitzle, damals Entwicklungsvorstand bei BMW, dem designierten Daimler-Chef Jürgen Schrempp bei einer gemeinsamen Bergwanderung 1994. Später wird Schrempp sich leidvoll daran erinnern, dass der Kollege von der Konkurrenz immerhin von »verdienen« gesprochen hat. Es sollte ganz anders kommen.

 

Anruf beim Verkehrsclub Deutschland (VCD). »In Ihrer Top Ten der umweltfreundlichsten Autos fehlt der Smart. Haben Sie den vergessen?«

 

»Nein«, heißt es, »den haben wir nicht vergessen. Ich glaube, der rangiert irgendwo zwischen Platz 10 und 15.«

 

»Wo denn genau?«

 

Kurze Pause am anderen Ende der Leitung. Es wird gesucht. Dann die Antwort: »Hier haben wir ihn. Auf Platz 23.«

 

Welch ein Niedergang: Zum Verkaufsstart 1998 kürte der umweltbewegte Verkehrsclub den Zweisitzer noch zum »Ökoauto des Jahres«. »Wir wollten ein Signal setzen«, erinnert sich Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD. »Ich habe damals persönlich dafür gekämpft, den Smart auf Platz eins zu setzen. Vor allem wegen des ehrgeizigen Mobilitätskonzepts.«

 

Aus dem dann leider nichts wird. Schnell stellt sich auch heraus, dass der Benzinverbrauch in der Praxis eher bei sechs als bei den versprochenen vier Litern liegt. Dass der versprochene Hybridmotor, neben der Zweisitzigkeit die Innovation des Smart, schon in der Entwicklungszeit gestrichen wird, bekommt kaum jemand mit. Es gibt technische Problem, aber letzten Endes ist er schlicht zu teuer. So kommt es, dass der Smart auf der Ökohitliste des VCD im Laufe der Jahre nach hinten durchgereicht wird.

 

Das Fahrzeug, das von Oktober 1998 an in den gläsernen Smart Towers auf Käufer wartet, hat mit dem ursprünglich verheißenen ökologisch korrekten Mobil nicht mehr viel gemein. Seit dem Pakt zwischen Hayek und Mercedes-Benz sind vier Jahre vergangen – in denen das Thema Umwelt aus dem Fokus gerückt ist. Verzicht und Ökologie sind nicht mehr en vogue. Der Wald stirbt zwar immer noch – aber langsamer. Und nicht mehr auf Seite eins. Die Börsenhype-Zeit bricht an, die Ära von schnellerreich.de. Ein Umweltauto wirkt nun deplatziert, gestrig und etwas peinlich.

 

Der Drei-Liter-Lupo von Volkswagen überrundet den Smart als Ökoauto

 

Wer voll auf die Ökokarte setzt, wird vom Markt bestraft. Fast zeitgleich mit dem Smart bringt VW-Chef Piëch, der einst Hayek die kalte Schulter zeigte, sein eigenes Umweltauto heraus: den Lupo 3L TDI, mit einem Durchschnittsverbrauch von 2,99 Liter Diesel auf 100 Kilometer bis heute das sparsamste Serienauto der Welt. Allerdings mit zuletzt mindestens 15.000 Euro so teuer wie ein ausgewachsener Golf. »Dünne Reifen. Ein Gesicht, das zugemauert war. Total emotionslos«, urteilt Smart-Erdenker Johann Tomforde, heute Innovations- und Design-Vordenker für Freizeitmobile der Hymer-Gruppe, über den Lupo. »Dass das nichts wird, war in der Branche ein offenes Geheimnis. Die haben vergessen, das Ding emotional zu machen. Das war nur etwas für Überzeugungstäter.« Von denen gibt es in sieben Jahren ganze 27.000. In aller Stille wurde der Lupo, Deutschlands erstes und bislang einziges Ökoauto, vor anderthalb Jahren beerdigt.

 

Gleiches geschieht ein paar Jahre zuvor mit dem groß angekündigten urbanen Smart-Mobilitätskonzept. Man redet einfach nicht mehr darüber. Manche Ideen werden vom Konzern gestoppt, für andere finden sich keine Partner, wieder andere werden von Interessengruppen sabotiert. So provozieren die mit Bahn- und Lufthansa-Tickets subventionierten Miet-Smarts an Bahnhöfen und Flughäfen den erbitterten Widerstand der Taxifahrer-Lobby. Nachdem die Taxifahrer Mercedes mit Boykott drohten, wird die Idee kassiert.

 

Als die ersten Smart über deutschen Asphalt hoppeln, geht der Pionier Nicolas Hayek gerade von Bord, herausgedrängt von Mercedes, aber auch frustriert, weil das Fahrzeug mit seiner ursprünglichen Idee vom Swatch-Mobil kaum noch etwas zu tun hat. »Das Auto war ein Verrat an seinen heiligen Prinzipien«, schreibt der Smart-Biograf Tony Lewin. »Von seinem Traum blieb ihm lange Zeit wenigstens die Hoffnung, dass man irgendwann eine Ökovariante bauen würde. Als sie dann auch noch den Hybridmotor von der Liste strichen, war nichts mehr übrig.«

 

Dass der Smart »relativ teuer« würde, hat Tomforde dem Schweizer gleich zu Anfang klargemacht. »Sie können gegenüber einem großen Auto nicht viel sparen. Eine Sitzreihe weg und ein bis zwei Meter Blech weniger, das bringt nicht viel, weil Elektronik und Sicherheit auf gleich hohem Niveau sein müssen.« Hayek schwebte ein Fahrzeug vor, das für Leute erschwinglich sein sollte, die sich bis dato kein Auto leisten konnten. Der Smart kostet zur Markteinführung mit 8200 Euro Basispreis etwa so viel wie ein Renault Twingo oder ein Ford Ka, hat aber zwei Sitze weniger.

 

Obwohl der Smart kaum noch Umwelt-Gene in sich trägt, wird er anfangs noch so beworben. »Wenn wir so weiterleben wollen wie bisher, müssen wir uns ändern«, moralisiert der Hersteller. Erlebnishungrige Hedonisten, die dem Gleichklang von Spaß und Zukunft frönen, wollen sich nicht derart missionieren lassen. Ihnen geht es gerade richtig gut, sie wollen keine Abstriche machen. Ein Smart? Eigentlich ganz nett. Aber vom Jahresbonus wäre auch ein BMW Z3 drin.

 

Das Leitmotto der Premierenzeit im Jahre 1998 »Reduce to the max« versteht ohnehin kaum jemand. 90 Prozent der potenziellen Kunden haben keine Idee, was das bedeuten könnte. »›Reduce to the max‹ war ein Fehler«, gesteht Jürgen Hubbert, damals Pkw-Vorstand bei Daimler-Benz, später ein. »Die Leute wollen Spaß haben, nicht verzichten.« Aus »Reduce to the max« wird schnell »Open your mind«. Das passt viel besser zum Lifestyle der Dotcom-Überflieger und dauerkreativen Agenturleute.

 

Marketingchef Jürgen Schär, der kurz zuvor noch die Vorzüge des Mobilitätskonzepts gepriesen hat, schaltet um. »Wir zielen auf Trendsetter«, verkündet er jetzt. »Ein Smart kann durchaus das dritte oder vierte Auto in einem gut situierten Haushalt sein.« Kein Ersatz für Spritschlucker also, sondern in der Auffahrt neben den Limousinen und Offroadern geparkt. Oder zuständig für den gelegentlichen kleinen Stadtfloh-Kick. »Wenn wir damals in München am Flughafen ankamen und in die Innenstadt mussten«, erinnert sich BBDO-Deutschlandchef Klaus-Peter Schulze, »dann haben wir uns vier Smarts ausgeliehen und eine Rallye in die City veranstaltet.«

 

Fast ein Jahrzehnt später, im Frühjahr 2007, stehen die Zeichen der Zeit wieder auf Ökologie. Unter dem Eindruck düsterer Prognosen sind vor allem die PS-starken Schlachtschiffe in den letzten Wochen und Monaten als Klimakiller in die Diskussion geraten. Reformkonzepte jagen einander in hektischer Folge. Schadstoffabhängige Kfz-Steuer. Strengere EU-Grenzwerte für den Ausstoß von Kohlendioxid. Schluss mit der steuerlichen Begünstigung spritschluckender Dienstwagen.

 

Kleine, sparsame Automobile haben plötzlich wieder Konjunktur, selbst in Amerika, dem Reich großer Pick-ups und klobiger Geländewagen. Allein im vergangenen Jahr haben sich die Spritpreise dort fast verdoppelt. Ein Grund, warum DaimlerChrysler den Smart von 2008 an erstmals auch in amerikanischen Metropolen anbieten wird. Bisher erschien das hoffnungslos. »Wenn Sie in Amerika mit Benzinverbrauch argumentiert haben, sind Sie ausgelacht worden«, sagt Smart-Geschäftsführer Ulrich Walker.

 

Walker und die Seinen spüren den neuen Wind aus der Ökoecke – und versuchen damit gleich Fahrt aufzunehmen. Man hat ja auch etwas zu bieten, trotz Platz 23 auf der Ökohitliste des VCD. »Der Smart Diesel ist hierzulande das meistverkaufte Drei-Liter-Auto«, wirbt Konzernchef Dieter Zetsche. Mit 88 Gramm pro Kilometer kann er den niedrigsten CO2-Ausstoß aller Autos auf dem Markt vorweisen. Seit dem Verschwinden des Öko-Lupo gibt es kein Fahrzeug, das weniger Sprit verbrennt. Allerdings wird der Wagen erst nächstes Jahr mit einem geschlossenen Dieselpartikelfilter zu haben sein, weshalb er beim VCD-Umweltcheck bislang regelmäßig durchgefallen ist. Die CO2-Bilanz der Benziner wiederum ist respektabel, aber nicht Maß der Dinge. Größere Fahrzeuge wie der VW Polo Blue Motion, Citroen C1 oder Toyota Aygo emittieren noch weniger klimaschädliches Abgas.

 

Immerhin ist der kleinste Spross der Mercedes Car Group mit seinen vergleichsweise geringen Schadstoffwerten der großen Konzernmutter dienlich. Er poliert nämlich die dürftige CO2-Bilanz der PS-potenten Mercedes-Flotte (inklusive des 612 PS starken Maybach) etwas auf und lässt sie zumindest in die Nähe der von der EU bis 2012 geforderten 130 Gramm pro Kilometer kommen. Ohne den Smart läge der Mercedes-Karossenpark im Schnitt deutlich über den derzeitigen 179 Gramm.

 

In London startet ein Pilotprojekt mit 100 Elektro-Smart

 

Seinen eigentlichen Trumpf hat der Smart mit dem Abschied von alternativen Antrieben seinerzeit verspielt. Allerdings haben die Entwickler in aller Stille daran weitergetüftelt. In London startet in diesen Wochen ein Pilotprojekt. 100 Elektro-Smart, als »Zero Emission Vehicles« von der City-Maut befreit, gehen in den Einsatz. Und vor anderthalb Jahren stellte der Hersteller gleich vier umwelt-avantgardistische Prototypen vor; zwei Hybridvarianten, ein Elektroauto mit Sodium-Nickel-Chlorid-Batterie und einen Wagen mit kombiniertem Benzin-Naturgas-Antrieb. Die Menschheit habe noch 15 Jahre Zeit, den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, warnte der UN-Klimaexpertenbericht in der vergangenen Woche ultimativ.

 

Aber nicht nur mit seinem Ökoimage mühte sich der Smart. Die Probleme stürzten von allen Seiten auf das Auto zu. Im Herbst 1997 landet die neue A-Klasse von Mercedes beim Elchtest auf dem Dach. Ein Debakel für Mercedes – und genauso für den Smart, der wenige Monate später auf den Markt kommen soll. Johann Tomforde ist klar, dass sein Auto den Elchtest konstruktionsbedingt nicht bestehen kann. Peinliche Auftritte folgen. Jürgen Hubbert, damals Pkw-Vorstand von Mercedes, antwortet in einem Fernsehinterview auf die Frage, warum der Smart beim Elchtest nicht umkippte: »Weil er mit Stützrädern gefahren ist.«

 

Das Auto muss noch einmal von Grund auf überarbeitet, Händler und Kunden müssen um ein halbes Jahr vertröstet werden. Tomforde verliert darüber seinen Job, Daimler übernimmt das Kommando. Im Konzern warnen erste Stimmen vor den finanziellen Risiken des Smart-Abenteuers.

 

Die Zweifler fühlen sich bestätigt, als die Presse sich ausgiebig an der anfänglichen Schleuder- und Kippfreudigkeit des Winzmobils weidet (einmal vollführt es auf eisglatter Piste einen Viertelsalto rückwärts und landet auf dem Hinterteil), am Hoppeln auf unebener Piste und an der trägen Automatik. Der Verkauf läuft nur schleppend an; bald ist klar, dass das selbst gesetzte Absatzziel von 200.000 Autos jährlich wohl nie zu erreichen sein wird. Anfang 1999 erhöht Konzernchef Jürgen Schrempp den Druck: »In diesem Jahr müssen die Verkaufszahlen stimmen, ansonsten ist Schluss.«

 

Zudem wird das Auto von Anfang an vom Gespenst des Break-even verfolgt. Angesichts des flauen Absatzes und 1,2 Milliarden Euro Anlaufkosten werden die Aktionäre ungeduldig. »Wie lange wird es dauern, bis das Auto Gewinne einfährt?«, wollen sie wissen. Auf ihre Fragen weiß der Vorstand keine Antwort. Vielleicht will er auch keine geben. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, Schrempp senke nur deshalb den Daumen nicht, weil ein Ausstieg noch teurer würde als das Weitermachen.

 

Obwohl der Wagen sich mit der Zeit besser verkauft, 770.000 Wagen sind es bislang, und im Jahr 2000 erstmals die Grenze von 100.000 abgesetzten Fahrzeugen im Jahr durchbricht, verliert Smart weiterhin massiv Geld. Der neue Firmenchef Andreas Renschler, der zuvor in Amerika die Produktion der Mercedes M-Klasse aufgebaut hat, sieht den einzigen Ausweg in der Diversifizierung: Wir brauchen zwei, drei, viele Smart. Nur mit dem kugeligen, mittlerweile Fortwo genannten Zweisitzer werde man nie aus den roten Zahlen herauskommen, heißt das neue Credo.

 

»Das Image des Smart wurde hin- und hergebogen wie ein Draht«

 

Unter Einsatz weiterer DaimlerChrysler- Finanzspritzen pumpt Renschler das Einprodukt-Unternehmen in Rekordzeit zum vollwertigen Autohersteller auf. Nacheinander präsentiert er einen Roadster, ein Roadster-Coupé und den Viersitzer Forfour. Ein Offroader namens Formore ist auch noch vorgesehen. Allesamt ingenieurstechnische Höchstleistungen – wohlgestaltete, auf Emotionalität zielende Autos, die von der Fachpresse überwiegend mit Lob bedacht werden. Nur kommen sie leider genau zum falschen Zeitpunkt.

 

Der Roadster etwa, vor allem in seiner 101 PS starken Variante bei einem Gewicht von nur 790 Kilo ein tolles Krawallauto, scharf wie ein Beil, wäre anno 1998, als frisches Geld überall auf der Straße herumlag, die passende Spaß-Begleitmusik zum Verkaufsstart des Fortwo gewesen. Er kommt aber erst 2003 auf den Markt, zwei Jahre nach dem Kollaps der Dotcom-Ökonomie, als kaum noch jemand Geld dafür hat.

 

Mit dem Viersitzer kommt es im Jahr darauf noch schlimmer. Die Autobauer aus Böblingen versuchen ihr Glück ausgerechnet auf dem Kleinwagenmarkt, der unter einem ruinösen Preiskampf leidet, angefacht von immer neuen Rabattschlachten. Der Forfour ist ein flott gestyltes Brot-und-Butter-Auto, das allerdings die Kleinwagenwelt nicht unbedingt voranbringt. Er ist nicht das IT-Auto, das er hätte werden sollen, kein Gegner für den neuen Mini, eher ein »Polo mit Lifestyle-Anspruch«, wie Auto-Bild befindet. Da DaimlerChrysler nicht gewillt ist, den Verkauf mit den branchenüblichen Rabatten anzukurbeln, was ja auch nur eine andere Form der Geldvernichtung ist, bleibt der Forfour in den zwei Jahren seines Daseins weit hinter den Absatzerwartungen zurück. Bald schon wird er als »Albtraum der Aktionäre« verspottet.

 

Die Modelloffensive kostet nicht nur Hunderte von Millionen, sie verwässert auch die bis dato scharfe Positionierung der Marke fast bis zur Unkenntlichkeit. Ein Smart, das war der Zweisitzer. Ein einzigartiges Konzept. Eine Ikone eben. Nun baut der Hersteller auch Roadster. Und Kleinwagen. Als Nächstes vielleicht einen Kombi? »Das Image wurde hin- und her gebogen wie ein Draht«, urteilt der Kommunikationsdesigner Peter Wippermann, Gründer und Gesellschafter des Trendbüros in Hamburg. »Zum Schluss konnte niemand mehr sagen, wofür die Marke eigentlich steht.«

 

Durch die vielen Hiobsbotschafen gerät zusehends die gesamte Marke in eine Abwärtsspirale. »Es wurde ja nur noch Gülle über Smart ausgekippt«, schimpft Konzernchef Dieter Zetsche heute. Alles ist auf einmal falsch: das Konzept. Die Modellpalette. Die Autos. Jedes Mal, wenn ein Vorstand sich in der Presse despektierlich zur Zukunft von Smart äußert, gehen anschließend die Markenimagewerte in den Keller, Testberichte fallen plötzlich schlechter aus als sonst.

 

Smart lässt den Popstar Robbie Williams für den Forfour und ein in Kleinserie gebautes Freiluftvehikel namens Crossblade werben, das ohne Dach, Türen und Windschutzscheibe auskommt. Robbie und Smart, das Dreamteam. Über Williams las man vorige Woche, er sei schwer depressiv und quäle sich mit Selbstmordgedanken. Wegen seiner Drogen- und Medikamentenabhängigkeit sitzt er jetzt in einer Entziehungsklinik. Und auch für den von ihm beworbenen Smart-Viersitzer sollte es kein gutes Ende geben.

 

Jürgen Schrempp und später Dieter Zetsche ziehen die Notbremse. Zuerst wird der Roadster eingestellt, im vergangenen Frühjahr folgt das Aus für den Viersitzer, der Kleingeländewagen darf gar nicht erst gebaut werden. Der Rest der Firma mit jetzt nur noch 450 von einst 1400 Mitarbeitern wird von Mercedes geschluckt. Geschäftsführer Ulrich Walker geht nach China und leitet von dort das Nordostasien-Geschäft. Man trauert ihm jetzt schon nach. Es gibt nicht allzu viele Manager in Deutschland, die dafür sorgen, dass so gut wie jeder entlassene Mitarbeiter einen neuen Job findet.

 

Das Unternehmen Smart existiert nicht mehr, aber die Ikone darf weiterleben. Schließlich schreibt der Fortwo, für sich genommen, seit Jahren schwarze Zahlen, beteuert das Unternehmen immer wieder, ohne dies allerdings zu belegen.

 

Innerhalb kürzester Zeit hat Smart eine modellpolitische Kehrtwende vollzogen, wie sie in der deutschen Automobilgeschichte ohne Beispiel ist. Klaus Badenhausen, als Entwicklungschef auch für die eingestellten Roadster und Forfour verantwortlich, kommentiert die Achterbahnfahrt mit einem Anflug von Sarkasmus und einem Zitat von Konrad Adenauer: »Wollen Sie mir verbieten, klüger zu werden?«

 

Für das Debut des neuen Smart Fortwo, des ersten Nachfolgers in der kurzen, aber turbulenten Geschichte der Marke, haben die Premierenplaner nichts dem Zufall überlassen. Bei der Testfahrt durch die karge Olivenhainlandschaft südlich von Madrid stellen sie den Motorjournalisten für eine Vergleichs-Spritztour auch ein paar Exemplare des Vorgängermodells hin. Das Unternehmen vertraut auf die Überzeugungswucht des konkreten Vergleichs.

 

Was »Auto-Bild« schreibt, schlägt direkt auf die Absatzzahlen durch

 

Auf der Plaza Mayor des für seine Stierkämpfe berühmten mittelalterlichen Städchens Chinchón muss man schon genau hinschauen, um in der Flotte der neuen Modelle den alten Smart zu finden. Nur behutsam haben die Designer die Figur der Ikone neu modelliert.

 

In der Smart-Zentrale in Böblingen wartet man gebannt auf die ersten Testberichte. Das Urteil der Motorjournalisten ist ein Seismograf für die Akzeptanz eines Autos. Was Auto-Bild und auto motor sport schreiben, schlägt direkt auf die Absatzzahlen durch. Das war schon vor neun Jahren so, als beißende Kritik an der fahrerischen Performance des ersten Smart den Verkaufsstart verhagelte. Wie wird die Tendenz diesmal ausfallen? Werden die Tester den Fortschritt des neuen Modells im Vergleich zum Vorgänger auch deutlich genug herausstellen? Die stärkere Motorisierung? Den größeren Kofferraum? Die neue Schaltung, die das Auto nicht mehr bei jedem Gangwechsel zusammenzucken lässt? Oder werden sie schreiben, dass ein Dacia Logan schon für 2000 Euro weniger zu haben ist?

 

Der Premieren-Countdown wurde seit Monaten generalstabmäßig vorbereitet, diesmal muss jedes Detail sitzen. Bei der Weltpremiere in einem Stuttgarter Parkhaus am 9. November (über die Symbolträchtigkeit dieses historischen deutschen Datums hatte man sich allerdings gar keine Gedanken gemacht) darf die Formel-1-Legende Niki Lauda vor 600 Journalisten aus ganz Europa sogar den Gastgeber ein bisschen brüskieren. »Bisher gab es immer ein Problem«, sagt Lauda, dessen Mietwagenfirma Laudamotion 500 Smart im Einsatz hat, in Richtung von Konzernchef Zetsche, »bei jedem Gangwechsel fiel meine Kappe runter.« Eine Anspielung auf das Nicken beim Schalten. »Das haben wir den ganz bewusst sagen lassen«, sagt ein Smart-Manager später, »umso besser konnten wir dann erklären, dass wir das Problem gelöst haben.«

 

Und dann muss natürlich Dieter Zetsche ran. »Ich bin mit dem neuen Wagen über die Alpen gefahren, bis auf fast 3000 Meter hoch, von Turin nach Nizza«, sagt der Vorstandschef über das Auto, dem bis dato eher die Qualitäten eines Stadt-Hoppelchens denn die einer Bergziege nachgesagt wurden. »Wir haben andere Autos vor uns her die Pässe hochgejagt, auch Sechszylinder.«

 

Die Rechnung der Kommunikationsstrategen ist aufgegangen. In keinem der namhaften Blätter erscheint ein Verriss. Stattdessen hagelt es Lob und Sympathiebekundungen für ein Auto, das viele schon abgeschrieben hatten – und das nur deshalb von April an bei den Mercedes-Händlern steht, weil es seinen Schöpfern gelang, die Produktionskosten um ein Viertel zu senken. Zum Schluss wurde selbst um Beträge von sechs Cent gefeilscht.

 

Hier und da findet sich verschmitzt-kokette Kritik an Details. An schlampig eingesetzten Türdichtungsgummis, die sich schon in ihre Bestandteile auflösen. Am billigen Blechsplint, der als Motorraumverriegelung herhalten muss. Am neuen, dem Mainstream angepassten Interieur, das nunmehr »die Einzigartigkeit einer Europalette« habe. Und am Preis von mindestens 9450 Euro für das Basismodell, welches erfahrungsgemäß kaum gekauft wird. Der Durchschnittspreis dürfte eher bei 13.000 Euro liegen, was immer wieder zur Grundfrage führt, für wen dieses – zweifellos gelungene – Auto denn nun gedacht sein soll. »Für Schwule und Lesben vielleicht!«, dröhnt einer der Journalisten bei der Testfahrt. »Die haben ja meist keine Kinder, die hinten sitzen müssen.«

 

Bei Mercedes, so hört man, gebe es immer noch viele Leute, die den Smart bis heute nicht verstanden haben. Einige waren der Meinung, man müsse dem neuen Fortwo unbedingt das DVD-Navigationssystem der A-Klasse spendieren – was den Wagen um gut 3000 Euro in Richtung Unverkäuflichkeit verteuert hätte.

 

Ein Stück an die große Marke Mercedes ist der Smart allerdings schon herangerückt. »Smart – isn’t that the small car by Mercedes?«, darf eine junge Italienerin in den Werbevideos immerhin fragen. Die Marke soll von der Aura des Sterns profitieren. Anders wäre der vergleichsweise hohe Preis auch kaum durchsetzbar. Ein Zweisitzer von Kia oder Hyundai, so teuer wie der Smart, ließe sich nicht verkaufen.

 

Die Smart-Chefs können vermutlich schon jetzt, vier Wochen vor dem Verkaufsstart, ziemlich genau sagen, ob das neue Modell ein Hit wird oder ein Flop. Seit Mitte Januar kann bestellt werden; das liefert genug harte Fakten für eine klare Tendenz. Zu erfahren ist darüber nichts.

 

Johann Tomforde, der einst die Urversion des Smart zeichnete, ist zuversichtlich, dass die Sache, seine Sache, doch noch zu einem guten Ende kommt. »Heute passt der Smart noch besser in die Welt, und wenn sie nicht ganz große Fehler machen«, ist er überzeugt, »dann läuft die Kiste.«

 

Kürzlich traf er Dieter Zetsche, den Mann, der jetzt über das Schicksal des Smart zu befinden hat. Ihre Wege haben sich schon oft gekreuzt, auch 1992, als der damalige Entwicklungsvorstand Zetsche seinem Ingenieur erlaubte, Prototypen der Smart-Vorläufer Eco-Sprinter und Eco-Speedster zu bauen. Und jetzt, 15 Jahre später, nachdem Tomfordes Geschöpf dem Konzern 3,5 Milliarden Euro Verlust eingefahren hat? Irgendwann in dem Gespräch, berichtet Tomforde, habe Zetsche den einen entscheidenden Satz gesagt.

 

»Und der lautete?«

 

»Ich lasse das nicht fallen.«

 

 

DIE ZEIT, 01.03.2007 Nr. 10

 

 

 

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[ Diese Nachricht wurde editiert von schaefca am 16.03.2007 um 10:54 Uhr ]


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...da sage ich doch glatt: "Hut ab - ein klasse Artikel!" :-D :-D

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Noch was:

 

Quote:
[...] Seit Mitte Januar kann bestellt werden; das liefert genug harte Fakten für eine klare Tendenz. Zu erfahren ist darüber nichts. [...]

 

Jetzt schon. Ein Blick ins Smart-Forum reicht: click>>

 

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